MENÜ

MENU

Stadtpalais Liechtenstein in Wien

Stadtpalais Liechtenstein in Wien

Daten

  • Bauzeit: März 2007 – August 2012
  • Leistungsumfang: Generalplanung inkl. örtlicher Bauaufsicht und Projektmanagement
  • Bauherren: Stiftung Fürst Liechtenstein (Direktion: Dr. Johann Kräftner, Erich Urban)
  • Projektarchitekt: Andreas Call
  • Fotos/Pläne: The Princely Collections Vaduz-Vienna, Peter Kubelka, Wehdorn Architekten

Projekt: Stadtpalais Liechtenstein in Wien

Data

  • construction time: März 2007 – August 2012
  • scope: Generalplanung inkl. örtlicher Bauaufsicht und Projektmanagement
  • builders: Stiftung Fürst Liechtenstein (Direktion: Dr. Johann Kräftner, Erich Urban)
  • projectarchitect: Andreas Call
  • photos / plans: The Princely Collections Vaduz-Vienna, Peter Kubelka, Wehdorn Architekten

Project: Stadtpalais Liechtenstein in Wien

Die Revitalisierung des Stadtpalais Liechtenstein ist aus kulturhistorischer Sicht von höchster Bedeutung für Wien

Das Stadtpalais Liechtenstein ist das Initialbauwerk der hochbarocken Architektur in Wien, 1691-1705 erbaut. Sein Innenausbau, 1836–1847 entstanden, gilt als erste und bedeutendste Neugestaltung im Stil des „Zweiten Rokoko“. Die Revitalisierung des Stadtpalais Liechtenstein ist aus kulturhistorischer Sicht von größter Bedeutung für Wien.
Nach Jahren einer provisorischen Nutzung begann im März 2007 die Neuplanung, deren Ziele in einer dem architektonischen und baukünstlerischen Stellenwert des Palais entsprechenden multifunktionalen Nutzung und einer Generalsanierung nach wissenschaftlich-denkmalpflegerischen Kriterien zu sehen sind.
Am Anfang der Sanierung standen die Rohbauarbeiten, nicht zuletzt der Abbruch der zahlreichen abgehängten Decken und Zwischenwände aus späterer Zeit, wodurch die historischen Raumstrukturen wieder hergestellt werden konnten. Zum Baubestand muss generell festgehalten werden, dass sich das Stadtpalais vor Inangriffnahme der Sanierung keineswegs in einem guten statischen Zustand befunden hatte. Die statische Sanierung erfolgte einerseits durch ein Stahlskelett, das die Trakte wie ein Gürtel umschließt, andererseits aber auch durch den dreigeschoßigen Depotbau unter Hofniveau. Dieser unterirdische Baukörper, der den ganzen Hofraum einnimmt und mit ca. 17,5 m annähernd so hoch wie das Palais bis zum Hauptgesimse ist, wirkt konstruktiv wie eine „biegesteife“ Betonschachtel, die ebenfalls wesentlich zur Sicherung des statischen Gefüges beiträgt.
Erst nach den aus technischer Sicht notwendigen Arbeiten konnte die eigentliche Restaurierung einsetzen, die als Grundprinzip auf der Verwendung authentischer Materialien und dem Einsatz originaler Bautechniken aufbaute.
Eine besondere Problematik bestand in der Restaurierung der weltberühmten Thonet-Böden. Zum Verständnis muss zunächst auf die Herstellungstechnik eingegangen werden, wie sie im Falle des Palais Liechtenstein in der Biedermeierzeit angewandt worden war: Die Trägertafel ist aus Eiche und ca. 28 mm stark, auf diese Parkette wurde die ca. 3 mm starke Intarsienschicht („Marqueterie“) aus einheimischen und exotischen Hölzern aufgebracht. Für die Intarsien ließ Thonet die in dem von ihm entwickelten Dampfbiegeverfahren hergestellten Schlingen und Schweifungen mit den angrenzenden Hölzern zu Blöcken von ca. 6 cm zusammenleimen und dann – wohl erstmals in Wien – mit von Transmissionsriemen betriebenen Sägen zu 3 mm starken Marqueteriefolien aufschneiden, die in der Folge auf die Trägertafeln aufgeleimt wurden.
Der Zustand der Böden vor Inangriffnahme der Sanierung war schlichtwegs katastrophal: Bei manchen Räumen lösten sich bis zu 50% der aufgeleimten Intarsien- und Marqueteriearbeiten. Die Rekonstruktion der Fehlbereiche erfolgte in der originalen Technik von Thonet. Das für den historischen Wiedergewinn des ursprünglichen Erscheinungsbildes wichtigste angewandte Verfahren war die vorangehende Reinigung der gesamten Oberfläche mit einem Trockeneisverfahren. Hierbei wird die Oberfläche nicht überschliffen, sondern es wird lediglich das alte bis tief in den Holzporen sitzende verschmutzte Wachs entfernt. – Wer die Böden heute in ihrer Pracht sieht, ahnt jedenfalls nicht den hohen Arbeitsaufwand und das Fachwissen, das für die Restaurierung der Böden Voraussetzung war.
Eine nicht geringere Herausforderung bestand in der Nachwebung der Seidenstoffe für Wandbespannungen, Vorhänge und Sitzmöbel. Schwierigste Aufgabe war in diesem Zusammenhang die Nachwebung der Bouquetstoffe, die in der so genannten „Lampaswebtechnik“ – eine der kompliziertesten Webtechniken – mit zwanzig Schussfarben und auf zwei Kettsystemen gearbeitet sind. Mit der Bezeichnung „Lampas“ wird ein gemustertes Gewebe benannt, dessen Grundkette mit dem Grundschuss Kettatlas bildet und dessen Muster aus mehreren Schusssystemen besteht, die wiederum durch die Bindekette in Köperbindung abgebunden werden. Neben den durchgehenden vier Grundschüssen, die die Gewebestruktur bilden, arbeiten die zusätzlichen sechzehn Schüsse nur im Muster. Diese Arbeitsweise ist sehr zeitaufwändig, bringt aber eine sonst nicht erreichbare Muster- und Farbenvielfalt. Die Grenzen zwischen Handwerk und Kunst sind – wie dieses Beispiel zeigt – fließend.
Gewebe dieser Art konnten bislang nur auf Handwebstühlen hergestellt werden. Die Herausforderung war, die eigens dafür angeschaffte elektronisch gesteuerte Webmaschine mit 22.000 (!) Kettfäden so umzubauen, dass mit der neuen Vorrichtung in der historischen Webtechnik gearbeitet werden konnte. Mit der Nachwebung dieser Jacquardgewebe, mit der die Jacquard Brokatmanufaktur GmbH Wien unter der Leitung von Heinrich L. Hetzer betraut worden war, wurde im Palais Liechtenstein ein Stück Wiener Seidenwebkultur neu belebt.
Das Stadtpalais Liechtenstein galt stets als „modernes“ Gebäude: Es gab ein ausgeklügeltes Warmluftsystem; es wurden „automatische“ Türöffner und versteckte Orchesterlogen eingebaut. Die Türen des großen Tanzsaales konnten hochgezogen, aber auch vertikal gedreht werden, wobei jeweils eine Seite der Türen in Weiß-Gold, die andere aber in Spiegelglas gehalten sind, sodass der Raum in Sekunden von einer einheitlichen, prunkvoll vergoldeten Ausstattung in einen „Spiegelsaal“ verwandelt werden konnte. Wo immer möglich wurden diese Techniken im Rahmen der Restaurierung wieder hergestellt. Die Tradition der „modernen Technik“ wurde auch bei der Revitalisierung weitergeführt: Das gesamte Haus ist – um die wertvolle Raum- und Gemäldeausstattung zu schützen – vollklimatisiert und die Lösung der Sicherheitsaspekte entspricht den höchsten Anforderungen. Auch die barrierefreie Erschließung aller Räume war eine der Grundvoraussetzungen für den Ausbau des Palais. Für die Beschickung des Kunstdepots unter dem Innenhof konnte in der sogenannten „Südhalle“, das heißt dem schmalen Trakt gegen die angrenzenden Nachbarhäuser, ein eigener Transportlift mit ca. 4 m Tiefe und einer Tragkraft von 4,2 Tonnen eingebaut werden. Um die großformatigen Bilderrollen einbringen zu können, wurde zusätzlich in den Steinboden eine 6 m lange Bodenklappe eingebaut, die sich über Fernbedienung öffnen und schließen lässt – und dies bei einem Gesamtgewicht von rund 10 Tonnen.
Eine weitere Herausforderung bestand in der Lichtplanung und insbesondere in der Wiederbeschaffung der originalen Luster und Wandleuchten, die alle in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts aus Geldnot verkauft worden waren. Der systemischen Recherche ist es zu danken, dass alle diese Beleuchtungskörper wieder aufgefunden und rückgekauft werden konnten, sodass heute – bis auf einen Raum – alle Prunksäle mit den originalen Lustern und Girandolen aus der Biedermeierzeit ausgestattet sind. Wie sehr die Beleuchtungskörper den jeweiligen Raumeindruck bestimmen, ist am besten am Beispiel des Tanzsaales zu zeigen, der ursprünglich und auch heute noch mit insgesamt 618 Flammen beleuchtet wird. Dass die Wiederherstellung der Beleuchtung mit herkömmlichen Leuchtmitteln nicht möglich war, ist alleine aufgrund der Wärmeentwicklung einer so großen Lichterzahl in einem Raum leicht nachvollziehbar. Bereits im Zuge der Vorplanung wurde daher entschieden, die Prunkräume mit LED-Licht auszustatten, wobei der Protoypus einer LED-Kerze erst im Zuge der Sanierungsarbeiten des Palais entwickelt wurde.
Das Palais Liechtenstein ist auch ein gutes Beispiel, dass bei Altbauten sehr viel für die thermische Sanierung getan werden kann. Besonderes Schwergewicht wurde in diesem Zusammenhang der Konzeption der neuen Fester gewidmet, die zwar dem historischen Erscheinungsbild folgen, wärme- und sicherheitstechnisch aber dem höchsten zeitgemäßen Standard entsprechen. Eine Besonderheit stellt die Rekonstruktion der hölzernen Schabracken an den äußeren Fenstern des 2. Stockes dar: Bereits in der Barockzeit hatte man dieses Geschoß – das damals schon der weltberühmten Gemäldesammlung diente – mit außen liegenden Holzjalousien ausgestattet und verbarg diese, wenn man die Jalousien nicht benötigte, hinter hölzernen Schabracken. In späterer Zeit verschwand diese Konstruktion und wurde erst wieder im Zuge der rezenten Sanierung nach historischen Vorlagen rekonstruiert, wobei diese Konstruktion auch ganz wesentlich zur Steuerung des Raumklimas beiträgt.
Im gegebenen Zusammenhang ist noch kurz auf die Fassadensanierung einzugehen: Die Fondsflächen waren im 20. Jahrhundert zum Großteil in Zementputz erneuert worden, der aus technischen Gründen, um die Atmungsaktivität der Außenhaut zu ermöglichen, entfernt werden musste. Übrig blieben daher nur die barocken Ornamentteile, der Fassadenfonds konnte in Kalktechnik erneuert werden, die Fassadenfarben wurden ebenfalls in Kalk, „feucht in feucht“, aufgetragen. Diese Ausführung entspricht de facto einer Freskotechnik und gewährleistet eine überdurchschnittliche Langfristigkeit der Fassadenfärbelung.
Der zuletzt angesprochene Problemkreis zeigt, dass die Restaurierung des Palais Liechtenstein eine nachhaltige Sanierung darstellt, bei der ökologische, durchaus aber auch ökonomische und sozio- kulturelle Aspekte gleichermaßen zu tragen kamen. Nach wie vor ist Denkmalpflege überaus arbeitsintensiv. Bei den Sanierungsarbeiten im Palais Liechtenstein waren im Durchschnitt bis 250 Personen auf der Baustelle, an Spitzentagen gegen 500, wodurch das Projekt auch für die Arbeitsplatzerhaltung in Österreich von Bedeutung war.
Der große personelle und materialtechnische Aufwand, basierend auf wissenschaftlichen Untersuchungen, hat dem Stadtpalais Liechtenstein in mehr als vierjähriger Bauzeit die Eleganz des Barock und den Farbenfrohsinn des Biedermeier wieder zurückgegeben. Es ist dem Mäzenatentum des Fürstenhauses Liechtenstein zu verdanken, dass man die Pracht des Palais in der Bankgasse in ihrer Authentizität wieder bewundern kann.